Der Großglockner ist er der höchste Berg Österreichs. Nach meiner Hochtour zum Großvenediger, sollte der Glockner als weitere Übung für meine geplante Mont Blanc Besteigung 2017 dienen. Wenn ich ehrlich bin, gestaltet sich die Besteigung des Großglockners als markant anders als die Besteigung des weißen Bergs. Am Großglockner geht es um viel Kletterei am Fels, sofern der Schnee in den Gipfellagen bereits geschmolzen ist und der Fels brach liegt. Es erwies sich als der reinste Nervenkitzel.
Daniel, Tilman und ich hatten die Tour mit Bergführer im August 2016 über den Normalweg geplant. Eigentlich sollte die Besteigung am ersten Augustwochenende von statten gehen. Da aber ein Kaltfrontdurchgang von den Wettermodellen sicher prognostiziert wurde, mussten wir die Tour auf das darauffolgende Wochenende verschieben. Zwei Wochen vor dem Ötztaler Radmarathon ging es dann nach Kals in Österreich. Wir parkten unser Auto am Lucknerhaus auf 1920 Meter Seehöhe. Vom Parkplatz steigt man über den Almweg zur Stüdlhütte auf 2801 Meter hoch. Das Wetter war perfekt für eine Hochtour. Reichlich Sonnenschein und sommerlich warm. Bei unserem Aufstieg thronte der Großglockner majestätisch vor unserer Nase. Auf der Stüdlhütte waren wir mit unserem Bergführer Christoph verabredet. Dass Christoph (Sokoll) ein ehemaliger Rennrad-Profi war, machte die Sache für mich besonders spannend. Geplant war am gleichen Tag zur sogenannten Adlersruhe, der Erzherzog- Johann- Hütte, der die höchstgelegene Schutzhütte Österreichs auf 3454 Metern über Gletscher und Klettersteig aufbrechen und oben zur Akklimatisierung zu übernachten. Am nächsten Morgen sollte es dann zum Großglockner gehen. So war jedenfalls der Plan. Der Weg zur Stüdlhütte war technisch sehr einfach und es gab viele Wanderer, jeden Alters, die zur Stüdlhütte aufstiegen. Ich habe generell ein Problem mit Schuhen und Blasen und so passierte es, dass sich bereits auf halber Strecke eine dicke Blase an der Ferse entwickelt hatte. Wir klebten meine Blase komplett ab und ich hoffte dass es keine weiteren Probleme damit geben würde. Auf der Stüdlhütte angekommen, wollte Christoph von uns wissen, wie lange wir vom Lucknerhaus hinauf gebraucht hätten. Er sortierte uns dann in die Gruppe „Schnell“ ein und strickte kurzerhand den Zeitplan um: wir gehen heute noch auf den Großglockner! Nachmittags und abends ist weniger los. Vom „Traffic“ her sollte er Recht behalten, denn wir waren später mit die letzten am Gipfel. Jedoch ging es für uns an diesem Tag ohne Anpassung von rund 450 Meter Meereshöhe auf fast 3800 Meter, nicht ohne Folgen.
Von der Stüdlhütte ging es über steinige Wege bis zum Beginn des Gletschers. Dort zogen wir unsere Steigeisen an. Keiner von uns war vorher jemals damit gelaufen. So ging es in der Seilschaft über den Gletscher zum Klettersteig. Auch da hatte ich eine Premiere, denn noch nie war ich einen Klettersteig gegangen… und dann gleich am Großglockner meinen ersten. Verrückt. Christoph erklärte mir wie ich den Klettersteig anzugehe habe. Wir durchstiegen den Klettersteig ohne Probleme. Auf der Adlersruhe angekommen, deponierten wir die meisten unserer warmen Kleidungsstücke, die wir bei dem sommerlichen Wetter nicht brauchten. Die Hütte war brechend voll und am Blick Richtung Gipfel sah man zahlreiche Gruppen. Wir stiegen über Schnee zur Nordostflanke, dem steilen Eisleitl auf. Dort steckten wir unsere Pickel in den Schnee, da von hier an bis zum Gipfel nur noch Fels auf uns wartete. Die dünne Luft machte sich nun bemerkbar. Kopfschmerzen und Atembeschwerden machten sich bei meinen Begleitern zunehmend breit. Ich hatte Glück und merkte bis auf das „mehr atmen müssen“ kaum etwas.
Für schwache Nerven und fehlende Schwindelfreiheit ist eine Glocknerbesteigung nichts. Ich gebot mir nicht in die Tiefe zu blicken und mich voll auf den vor mir liegenden Weg zu konzentrieren. Christoph schärfte uns ein: konzentriert euch, dann ist alles „ganz einfach“. Es passiert nur was, wenn man sich nicht konzentriert. Technisch ist die leichte Kletterei kein Problem, allerdings viel Kopfsache. Links und rechts geht es jeweils mehrere hundert Meter steil in die Tiefe. Wir liefen am kurzen Seil und sicherten uns an den vorhandenen Eisenstangen. Uns kamen einige Gruppen – vorwiegend aus Osteuropa entgegen, die Christoph „Langseil-Akrobaten“ betitelte. Uns war auch nicht klar, wie die Bergsteiger am langen Seil gedenken sich zu sichern, wenn einer von ihnen in die Tiefe stürzen sollte. Teilweise war es sehr eng und ein Aneinandervorbeikommen bedurfte etwas Zeit. Wir verstanden aber nun, weshalb Christoph den Aufstieg abends durchführen wollte. Nicht auszudenken was hier zur „Rush-Hour“ am Berg los war. Schließlich erreichten wir den Kleinglockner. Von ihm geht es einige Meter nach unten auf einen schmalen, schneebedeckten Grat und von dort hinüber zum letzten Aufstieg auf den Großglockner. Christoph ging mit etwas längerem Seilabstand vorweg und ich folgte. Tilman war in der Mitte und Daniel bildete die Nachhut. Christoph überquerte den Grad und sicherte uns auf der anderen Seite. Nun musste ich auf den Grad gehen und dort stehen bleiben, weil Tilman am kurzen Seil hinter mir absteigen musste. Wieder sah ich nicht nach unten. Auf dem schmalen Grad konnte ich mich auch nirgends festhalten. Meine Nerven waren gespannt wie Drahtseil. Als Tilman abgestiegen war, konnte ich endlich weiter gehen. Und schon stand das nächste Hindernis vor mir. Eine große steile Felsplatte. Christoph war bereits über mir und forderte mich auf nachzusteigen. In diesem Moment war mir völlig unbegreiflich WIE ich dort hochkommen sollte. Christoph ist groß, aber ich nur knapp 1,60 m. Die Felsplatte war steil, nahezu glatt und der erste Tritt viel zu weit für mich entfernt. Christoph forderte mich auch zu kommen. Ich stand da wie der Ochs am Berg. Wieder rief Christoph und ich setzte meine Frontzacken der Steigeisen an den Fels. Und siehe da, die scharfen Zacken krallten sich in den Fels. Ich rutschte nicht, auch als ich meinen Fuß voll belastete. Mit den Händen hatte ich zunächst keinen Halt und ich verlies mich voll auf die Steigeisen. Ich drückte mich nach oben und erreichte mit den Fingern einen schmalen Spalt an dem ich etwas Halt fand. Mit dem zweiten Bein setze ich nach. Geschafft. Wir kletterten noch wenige Meter weiter und erreichten schließlich das Gipfelkreuz.
Nachdem wir uns mit den letzten verbleibenden Bergsteigern auf dem Gipfel an der Aussicht erfreuten und Christoph eine Runde Manner Waffeln ausgegeben hatte, kletterten wir wieder den Großglockner hinab. Die Kletterei beim Abstieg empfanden wir teilweise schwerer als den Aufstieg und wieder mahnte uns Christoph daran uns zu konzentrieren. Nicht selten passieren schwere Bergunfälle beim vermeintlich leichteren Abstieg aus purer Leichtsinnigkeit. An der Nordflanke angekommen, packten wir unsere Eispickel und stiegen den eisigen Steilhang hinunter bis zur Adlersruhe. Dort gab es ein leckeres Abendessen und ein paar Geschichten von Christoph übers Bergsteigen und ein paar auch aus dem Nähkästchen zum Profiradsport. Meine Fersen Tapes hatten gehalten. Ich ließ sie die Nacht im Matratzenlager vorsichtshalber für den nächsten Tag kleben. Nach einem zeitigen Frühstück genossen wir den Anblick der aufgehenden Sonne über dem herrlichen Alpenpanorama. Dann stiegen wir über Klettersteig und Gletscher hinab zur Stüdlhütte, wo wir Christoph nach einem Kaffee zu seiner nächsten Tour verabschiedeten. Wir traten unseren Rückweg über die Almen zum Lucknerhaus an.
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