Meinen ersten 3000er hatte ich bereits im Kühtai bestiegen. Eine „richtige Hochtour“ würde ich die Besteigung des Sulzkogel (3016 m) im Kühtai aber nicht nennen. Außer der dünnen Luft in den oberen Bereichen, war es das Flair einer gewöhnlichen – wenn auch wunderschönen – Bergtour. Beim Großvenediger sollte es jedoch in einer Seilschaft über Gletscher gehen. Der Wettergott war uns bei der zweitägigen Großvenediger-Besteigungen nicht sonderlich gewogen. Sowohl er als auch der Berg ermahnten uns, Ehrfurcht zu verspüren und die Risiken einer Bergbesteigung nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Zwar wurde es für keinen Teilnehmer lebensbedrohlich, jedoch zeigte uns die Natur einige Fallstricke auf.
Treffpunkt der Tour war der Ort Neukirchen am Großvenediger am Parkplatz Hopffeldboden. Nicht ganz ein Dutzend Teilnehmer waren angemeldet. Bei der Anreise nahmen mich Frank und Sonja – ein super nettes Paar aus Baden-Württemberg – ab München mit dem Auto mit. Die restlichen Teilnehmer und unseren Bergführer Julian aus München. Mit dem Taxi sparten wir uns ein Stück Forstweg und fuhren weiter durch das Obersulzbachtal bis wir die Postalm erreichten. Von da waren es noch wenige Kilometer zur Materialseilbahn, in der wir unsere Schneeschuhe abgaben. Dann folgte der weitere Aufstieg zur Kürsinger-Hütte (2.558 m), wo wir Übernachtungen gebucht hatten. Die Tage hatte es immer wieder Niederschläge gegeben. Und ein kleiner Gebirgsbach, hatte sich in einen regelrechten Wasserfall verwandelt, den wir durchqueren mussten. Durch das viele Wasser konnten wir den weg nicht sehen und wo genau wir Halt finden konnten oder in Mulden oder den Abgrund traten.
Gleichzeitig wurden die Quellwolken immer größer und die Gewittergefahr nahm zu, weshalb wir uns bei der Durchquerung nicht viel Zeit lassen durften. Erste Blitze und Donnergrollen begleiteten uns als wir durch die herabströmenden Fluten huschten. Mir lief das Wasser komplett in die Stiefel. Die Stiefel hatten GoreTex-Beschichtung und ja das Wasser konnte somit auch nicht herauslaufen. Ich stand im Schuh komplett im Wasser. Daher zog ich die Schuhe aus und entleerte sie. Leider waren sie nun komplett nass und mir schwante böses, wenn ich am nächsten Tag mit nassen Schuhen über Schnee und Eis laufen sollte. Das wäre nicht möglich! Viel Zeit über das Problem nachzudenken, hatte ich in diesem Moment nicht, denn plötzlich ging ein rasendes Gewitter los. Ich zog noch schnell meine Regenhülle über den Rucksack, bevor neben Regen auch der erste Hagel einsetzte. Julian ermahnte uns zur Eile. Beim Aufstieg nur nicht den Eisendraht anfassen dachte ich noch. Einige Teilnehmer waren in Panik. Ein Teilnehmer verkroch sich vorübergehend unter hervorstehenden Felsen. Die Hagelkörner waren richtig dick und taten weh. Die Hütte war nun in Sichtweite, nur wenige hundert Meter noch. Schließlich schafften es alle unbeschadet in die Hütte. Die nassen Sachen wurden ausgezogen und zum Trocknen aufgehängt. Meine Schuhe waren völlig durchnässt und würden niemals bis zum nächsten Morgen trocknen. Gott sei Dank hatte der Hüttenwirt einen Handfön für mich und ich konnte meine Schuhe trocken fönen.
Am nächsten Morgen ging es vor Sonnenaufgang los. Das Wetter war noch gut, sollte jedoch ab Mittag umschlagen und Regen bzw. Schneefall bringen. Zunächst ging es über Fels bis zum Beginn des Gletschers. Da es die Vortage frisch geschneit hatte, verwendeten wir zum Aufstieg keine Steigeisen, sondern Schneeschuhe. Wir seilten uns an und marschierten los. Julian kannte das Gelände und wir umschifften die Gletscherspalten. Nur eine Spalte mussten wir queren. Der Riss im Gletscher war nicht arg breit, aber breit genug dass man nicht einen einfachen Schritt darüber hinweg machen konnte. Die hintere Kante war zudem nach oben verschoben. Man musste also quasi mit den Schneeschuhen über die Kante nach oben springen. Die Teilnehmer vor mir purzelten regelrecht über die Spalte hinweg, da sie beim Aufkommen mir den Schneeschuhen das Gleichgewicht nicht halten konnten. Als ich an der Reihe war versuchte ich an die vorderste Stelle des Spalte zu gehen, jedoch brach die Kante der Spalte etwas ein und ich rutschte mit meinem Schneeschuh in die Spalte. Der Schneeschuh verkeilte sich und ich steckte mit einem Bein in der Spalte fest. Die kräftigen Teilnehmer zerrten an mir, aber der Schneeschuh blieb festgeklemmt. Schließlich nahm Julian seinen Stock und schlug den vereisten Schnee in der Spalte rund um den Schneeschuh frei. Gott sei Dank. Es war schon ein mulmiges Gefühl in der Spalte tief nach unten zu blicken.
Die Wolken wurden zunehmend mehr und wir gerieten beim weiteren Aufstieg in ihren Nebel. Der Weg wurde zunehmend steil und die Luft immer dünner. Schließlich erreichten wir den Grat. Zunächst war der Grat mehrere Meter breit, wurde aber mit jedem Höhenmeter schmaler. Unmittelbar unterhalb des Gipfelkreuzes hatte ein Gruppenmitglied solche Angst, dass er sich weigerte weiter zu gehen. Julian wollte den Bergsteiger ermuntern weiterzugehen, weil das Kreuz nur noch 5 Meter entfernt war, aber nichts zu machen. Da wir als Gruppe zusammenbleiben mussten, drehten wir schweren Herzens direkt unter dem Gipfelkreuz um und stiegen wieder hinab, bis wir aus der „Gefahrenzone“ waren. Da wir vollständig von Wolken umhüllt waren konnten wir nur wenige Meter weit sehen und hätten auch auf dem Gipfel keinen Blick in die Landschaft gehabt. Wir machten eine kurze Pause. Die ersten Schneeflocken fielen. Wir machten und umgehend an den Abstieg. In den tieferen Regionen ging der Schnee nun in Schneeregen über. Weiterhin war durch Nebel und Schneeregen die Sicht stark eingeschränkt. Julian hatte kannte das Gelände jedoch und hatte zudem eine GPS-Uhr zur Orientierung. Wie wir später erfuhren, hatten sich jedoch andere Gruppen an diesem Tag arg verlaufen. Am unteren Ende des Gletschers angekommen, legten wir Seil und Schneeschuhe ab. Mittlerweile hatte es heftig zu regnen bekommen und ich war sehr froh über meine wasserfesten Kleidungsstücke. Nun ging es den steinigen und felsigen Weg hinunter zur Kürsinger Hütte. Die mit Moos bewachsenen Felsen waren teilweise sehr rutschig und man lief wie auf Glatteis. Für meinen Geschmack gingen einigen Teilnehmer viel zu hurtig. Nur ein falscher Tritt, ein Ausrutscher und blödes Aufkommen können schlimme Folgen haben. Diese Gedanken habe ich häufig, wenn ich andere beim Abstieg beobachte. Und tatsächlich passierte es. Ein Teilnehmer, der jedoch nicht zu den blauäugigen zählte, rutschte auf dem glitschigen Moos weg und fiel auf die Seite. Dabei brach er sich eine Rippe. Gott sei Dank war die Hütte nicht mehr weit entfernt und er konnte sie mit Unterstützung erreichen. Dort warteten wir bis der Regen nachgelassen hatte und begannen mit dem letzten Teil des Abstiegs.
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