Was für ein Jahr! Ein Jahr der Extreme. Ich möchte mich hier nicht darüber auslassen, wie schrecklich doch alles im Corona-Jahr war. Und es war nicht alles schrecklich! Natürlich gibt es schlimme Schicksale! Aber genauso, wie eine Klimaerwärmung schlimme Folgen hat, so gibt es auch positive Effekte und nicht anders ist es dieses Jahr mit der Corona-Pandemie. Nichts ist schwarz oder weiß!
Sportler mussten dieses Jahr auf den Großteil der Wettkämpfe verzichten. Aber mal abgesehen von den Profis, waren wir Radfahrer im Gegensatz zu den meisten anderen Sportarten klar auf der Siegerseite. Selbst im harten Lockdown des Frühjahrs, wurde uns in Deutschland das Fahrradfahren nicht verwehrt. Höre ich schon den ersten Einspruch: Gruppenausfahren waren bei uns verboten!? Naja, Jammerer auf hohem Niveau sind auch immer mit dabei. Wirklich blöd gelaufen war es für die, die zum Zeitpunkt des ersten Lockdowns gerade im Ausland, wie in Spanien, unterwegs war. Die Spanier durften keinen Fuß vor die Tür setzen und auch keinen Radreifen. Von Bekannten gab es Schreckensmeldungen, die auf den Kanaren unterwegs waren und im Hotel festsaßen und aufgrund Coronafällen nicht ausreisen durften. Zu den Profiteuren der Krise gehörten auf jedenfall die Fahrradläden, die sich vor dem Ansturm kaum retten konnten. Fahrräder, Fahrradteile und Hometrainer (Rollen) waren oft restlos ausverkauft.
Wie es Radfahrern mit der Krise erging ist sehr individuell. Aufgrund der Absage von Großveranstaltungen, lag es an jedem selbst sich Herausforderungen zu suchen und wer Herausforderungen braucht, der wird sie auch immer ohne Wettkämpfe finden. Ich würde eine Wette abschließen, dass in keinem anderen Jahr zuvor soviele Everestings durchgeführt wurden wie 2020. Die Trainingsplattform Strava erhielt Zulauf und dass vor allem auch wegen der Möglichkeit die berühmten Krönchen bei Segmenten einzusacken und den Wettkampf auf diese Weise mit anderen Sportlern zu starten.
Erinnerungen für die Ewigkeit
Als sich die Corona-Welle Ende Februar, Anfang März gerade auftürmte, ritt ich mit dem Rennrad auf meiner Lieblingsinsel Zypern umher (Traininslager auf Zypern). Zu dem Zeitpunkt traten die ersten Coronafälle in München auf und von den Einheimischen wurde man als Deutscher etwas argwöhnisch betrachtet. Am Flughafen lächelte man beim Hinflug noch über die kleine Zahl an Menschen, die mit einer Atemmaske unterwegs waren. Schon ein paar Wochen später sollten die Masken in Deutschland zur Mangelware werden. Kaum zurück aus dem Radurlaub gab es den harten Lockdown. Dank sonnigem Frühlingswetter war dem Radfahren jedoch kaum Grenze gesetzt und noch besser: es gab quasi keinen Autoverkehr.
Wenn ich an das Frühjahr zurückdenke, dann denke ich an einsame Straßen. Niemals werde ich vergessen, als ich von einer Anhöhe auf einen weitläufigen Abschnitt der A94 blickte. Die Autobahn war leer. Keine fünf Fahrzeuge waren unterwegs. Da Reisen ins Ausland und selbst innerhalb Deutschlands eingeschränkt wurden, erkundeten viele Radfahrer ihre nähere Umgebung. Und siehe da, es gab doch tatsächlich Straßen und Wege auf die man ohne Corona nie gestoßen wäre. Leider fiel einigen Menschen nichts besseres ein, als die Naherholungsgebiet zu stürmen, die unter der Last der „Naturliebhaber“ ächzten. Viele Radfahrer nutzen die Verkehrssituation und fuhren ihre Runden auf sonst stark befahrenen Schnellstraßen, wo man sonst unter Lebensgefahr nur Abgase, Dreck und Ruß schluckte. Ich erinnere mich auch noch gut an eine längere Radfahrt auf einer Bundesstraße – quasi alleine. Das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr passieren. Bei den wenigen Minuten, die ich auf dem Rad zur Arbeit fahre, fürchte ich im Stadtverkehr regelmäßig um mein Leben. Schon einige Male wäre ich von überforderten Autofahrern fast umgenietet worden. Diese einsamen Bike2Work-Rides vermisse ich schmerzlich!
Wenn das Stilfserjoch drei Mal anklopft
Natürlich schmiss der Lockdown die Urlaubspläne sehr vieler Menschen über den Haufen. Diese Umplanung bescherte mir einen unvergesslich schönen Urlaub (hier zu lesen). Mein zweites Highlight dieses Jahr, war dann eine spontan Aktion an einem heißen Sommerwochenende: das Stelvio! Wie hier schon oft erwähnt, weiß ich als Wetterfee am besten wie schwierig eine Wettervorhersage sein kann. Selbst wenn die Wetterlage absolut klar ist, kann sich das Wetter an Ort und Stelle chaotisch verhalten. Wenn man auf das Stilfserjoch will, dann kann man das natürlich bei fast jedem Wetter tun, aber ob das dann wirklich entspannt ist, steht auf einem anderen Blatt. Mit 2757 Metern Höhe über dem Meeresspiegel wird die Luft nicht nur dünn, sondern es wird vor allem auch kälter. Ich hasse es auf Pässen tausend Kleidungsstücke mitnehmen zu müssen und ständig meinen Zwiebellook an die Bedingungen anzupassen. Genauso hasse ich es aber auch mich klitsche klatsche nass zu schwitzen oder wie ein Hund zu frieren. So versuche ich bei meinen Aktivitäten immer die Wetter-Rosinen herauszupicken, was mir aber nicht immer gelingt, wie wir später noch sehen werden.
Kurz gesagt, das Wetter war am besagten Wochenende hochsommerlich und versprach für die obersten Höhenmeter relativ warme Temperaturen und Sonnenschein. Das Regenrisiko kleiner 5 Prozent. Also auf zum Stilfser Joch. Eigentlich war der Plan zunächst nur, von Prad aus das Stelvio zu erklimmen und dann nach Bormio abzufahren und das ganze Retour. Die Option noch die Ab- und Auffahrt am Umbrail zu machen, war zwar offen, aber nicht wirklich geplant. Nachdem ich im Hotel in Prad beim Treppensteigen zum Zimmer meine schweren Beine von den Intervallen des Vortages merkte, hätte ich drauf gewettet, dass ich schon bei der ersten Auffahrt ächtzen werde. Am Morgen ging es zeitig los. Verkehr war noch kaum unterwegs und auch kaum Radfahrer. Meine Beine fühlten nichts mehr von der Schwere des Vortags. Immer wieder faszinierend wie gut meine Regeneration funktioniert. Je näher es dem Gipfel ging, desto mehr Verkehr kam auf. Dennoch war es noch verhältnismäßig human und man konnte die Aussicht richtig genießen. Die Abfahrt nach Bormio war dann streckenweise eher Pflicht als Spaß. Es waren sehr viele Autos, Motorräder und auch Wohnwägen unterwegs. Als Radfahrer wurde man ab und an gefährlich geschnitten. Im letzten Teil der Abfahrt, war aufgrund von Baustellen überholen nicht möglich und so hing man im Verkehr fest. In Bormio angekommen, wurden die Flaschen gefüllt, eine Kleinigkeit gegessen und dann ging es umgehend zurück, wobei sich der starke Verkehr bereits etwas entzerrte.
Das zweite Mal am Stelvio angekommen, wurde die Lage sondiert. Körpergefühl? Top! Uhrzeit? 15 Uhr! Gewitterrisiko? Weit und breit keine potentielle Gewitterwolke zu sehen. So war schnell klar, dass der Umbrailpass ebenfalls noch gefahren wird. Der Umbrailpass ist ein wahres Kleinod in den späten Nachmittagsstunden. Bereits in der Abfahrt war kaum noch Verkehr und die verhältnismäßig schmale Straße schlängelt sich durch das Gebirgstal. Im oberen Teil gibt es oft spürbaren Wind, der bald vom beginnenden Gebirgswald aufgefangen wird. Beim letzten Erklimmen des Umbrails waren nur noch vereinzelt Menschen unterwegs. Die Landschaft des Umbrails könnte auch auf einem anderen Planten liegen. Die letzten Höhenmeter wurde es still. Ich vernahm nur noch den Wind und das rauschen der Wasserfälle aus der Ferne, die ohne Störgeräusche bis zu mir getragen wurden. Ab und zu hörte ich einen Greifvogel schreien. Die Sonne stand nun tiefer und die westlichen Berghänge warfen die ersten langen Schatten. Wie in einem Traum. Die Einsamkeit hatte am Stilfser Joch wieder ein Ende. Da gab es dann eine Vinschgauer mit Sauerkraut und Senf. Da relativ wenig los war, war auch die Abfahrt ohne größere Hindernisse ein Genuß (Strava-Aufzeichnung).
Hier könnte die Geschichte zu Ende sein, wenn ich mir am nächsten Tag nicht noch eingebildet hätte, vor der Abreise nochmal aufs Stelvio zu fahren. Und nicht nur aufs Stelvio, sondern auch nochmal runter via Umbrail und nochmals hinauf. Diesmal hatte mich aber das Wetterglück verlassen. Für den späten Nachmittag bestand ein erhöhtes Gewitterrisiko. Und wie es der Teufel so will kam das erste Gewitter schon um Mittag. Ich hatte aber Glück im Unglück. Die ersten Tropfen erreichten mich erst, als ich das zweite Mal oben auf der Passhöhe stand und mir rechtzeitig unter einer Markise eines Bratwurststands vor dem einsetzenden Hagel Unterschlupf suchen konnte (kleines Video).
Jetzt sitzen wir im zweiten Lockdown, wie zu erwarten war und sind gespannt was das Jahr 2021 für uns bringt. Was habe ich mir vorgenommen? Nichts Konkretes außer Radfahren und Spaß dabei zu haben. Auch Corona ist irgendwann Geschichte! In diesem Sinne wünsche ich euch allen alles Gute für das neue Jahr, viel Freude beim Radfahren und natürlich das Wichtigste: Gesundheit!
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Für alle, die noch nach etwas zum Naschen für Weihnachten suchen:
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