Alpenbrevet – Gold 2017

Nachdem ich 2016 mit dem Ötztaler den ersten Radmarathon gefahren war, hatte ich mir für 2017 den Alpenbrevet vorgenommen. Anders als beim Ötztaler, gibt es beim Schweizer Pendant verschiedene Strecken zur Auswahl.  Als Rundkurse bieten sich die Silber-, Gold- und Platinstrecke an. Letztere ist mit fünf Pässen und weit über 200 Kilometern und rund 7000 Höhenmetern noch härter als der Ötztaler. Die Goldstrecke hat in etwa die gleichen Höhenmeter wie der Ötztaler Radmarathon. Dabei weniger Kilometer aber dafür vier steile Pässe, so dass ein Gruppenfahren wie am Brenner beim Ötztaler entfällt. Die Platinstrecke erschien mir etwas zu krass, so dass ich mich bei der Goldstrecke anmeldete, wobei ich die Wechseloption buchte, so dass ich mich auf der Strecke noch kurzfristig für die Platinstrecke hätte entscheiden können. Da aber die Wetterprognose klar auf „Gewittergefahr“ zum späten Nachmittag stand, kam diese Option für mich nicht in Frage. Und ich kann vorwegnehmen, dass es die Platinteilnehmer auch tatsächlich mit heftigen gewittrigen Regenfällen an den letzten Pässen erwischte.

Start war in Meiringen in der Schweiz. Wir hatten unsere Unterkunft etwas außerhalb, da die Unterkünfte im Ort restlos ausverkauft waren und mussten daher am Morgen mit dem Auto auf einen der ausgewiesenen Parkplätze. Nach einem Check der Räder, rollten wir zum Start direkt in Meiringen. An dieser Stelle sei gesagt, dass für das Folgejahr die die Streckenführung geändert wurde. Da der Alpenbrevet kein offizielles Rennen sondern ein Brevet ist, findet auch keine Streckensperrung für den Kraftverkehr statt. Zum Großteil ist der Verkehr auch kein Problem, allerdings gibt es ein Stück zwischen Andermatt und Wassen, das stark befahren ist und bei dem die Zeitnahme in der neutralisierten Zone ausgesetzt wurde, um den Druck von den Fahrern zu nehmen. Die Gründe für die Änderungen im Folgejahr sind mir nicht bekannt, aber ich vermute dass es einen Zusammenhang gibt. Nach dem Startschuss rollte das Fahrerfeld direkt in einen kleinen Anstieg hinein, bevor es nach einem Flachstück in den ersten Pass ging, den Grimselpass auf bis zu 2164 Meter über Null. Mein Powermeter hatte die Wochen vorher schon sehr merkwürdige Werte produziert und immer wieder Aussetzer. Bereits die ersten Meter fiel mir auf, dass die Wattanzeige viel zu gering und die Stages defekt war. Mist! Und das genau zum Wettkampf. Ein guter Bekannter aus dem BMW Radsport Verein, sagte noch vor dem Alpenbrevet zu mir: Mensch Lisa, Du fährst schon lange genug Rad. Wenn der Powermeter nicht geht, dann verlass Dich auf Dein Gefühl. Etwas anderes blieb mir auch nicht übrig. Zwar sind meine Pulswerte sehr verlässlich und korrelieren sehr gut mit den Wattbereichen, jedoch vermengen sich die Werte bei einer solchen Distanz zunächst mit der Aufregung und später mit der Ermüdung. Ich versuchte mich daher auf mein Gefühl zu konzentrieren und die richtige Pace zu finden. Die Steigungen des Passes waren recht moderat und im noch dicht gedrängten Fahrerfeld führte ich einige Unterhaltungen. Viele der Teilnehmenden waren Wiederholungstäter, die den Brevet jährlich absolvierten, wobei sie die Streckenlänge hin und wieder wechselten. Ich fand das flache Gefälle mit den rasch wechselnden Steigungen als anstrengend, da ich keinen Rhythmus finden konnte und ständig schalten musste, um die Intensität zu halten. Einige Fahrer erzählten mir, dass der nächste Pass, der Nufenenpass mit einer Passhöhe von 2478 Meter das Grauen werden würde, da er sehr steil sei und Kraft kosten würde. So bereitete ich mich mental schon darauf vor.

Zwischendurch gab es leichten Regen. Der Himmel war Wolkenverhangen und lockerte im Verlauf mehr und mehr auf. Mein Magen war an diesem Tag etwas merkwürdig und mir war übel. Bei der ersten Verpflegungsstation musste ich aufpassen, das zu mir genommene Gel auch in mir zu behalten. Die Abfahrten gestalteten sich etwas schwerer als beim Ötztaler, da immer mit entgegenkommendem Verkehr zu rechnen war und einige Fahrer mit Schneckentempo mittig auf der Straße fuhren. Daher war mein Appell immer wieder beim Überholen: bitte rechts halten! Entgegen aller Befürchtungen genoss ich die Auffahrt auf den Nufenenpass. Auch wenn er steil war und mein Garmin beständig zweistellige Steigungen ausspuckte, so war es STETIG steil.Irgendwie war nicht mein Tag. Mein Magen war übersäuert und ich fand das Fahren unglaublich ermüdend. Bereits am Grimselpass schwante mir Übles. Es fühlte sich so anstrengend an, obwohl ich ausgeruht und voller Energie war. Dabei warteten ja noch drei Pässe. Erst am Gotthardpass brach das Eis allmählich und es lief mehr rund. Das Kopfsteinpflaster war dennoch grausam und zehrte an den Kräften der Fahrer. Kurz vor der Passanhöhe (2180 Meter) überholte ich einen Fahrer, dem der Kragen platzte und er beschwerte sich bei mir, dass das Kopfsteinpflaster schuld sei, dass seine Kräfte nachließen und  dass ihn bereits viel schwächere Fahrer überholt hätten und ich ihn jetzt auch noch überholen würde. Ich fand es schon bemerkenswert, was manche Menschen für ein Selbstbild von sich haben. Ich kommentierte es nicht weiter und ging in die Abfahrt nach Andermatt.  

Die Abfahrt nach Andermatt ging rasant. Der Verkehr an PKW und Motorrädern nahm zu. Zwischen Andermatt und Wassen wartete dann die neutralisierte Zone auf uns. Ich erinnere mich mit Schrecken an diese weitere Abfahrt. Das Verkehrsaufkommen war enorm und es gab Stau und stockenden Verkehr bergab. An Überholen war aber fast nicht zu denken, denn die Straße war nicht breit. Immer wieder gab es Tunnel. Neben PKW tummelten sich einige LKW und Wohnmobile auf der Strecke. Unglaublich Abgase kamen obendrauf. Ich war heilfroh, als ich in Wassen angekommen war und es mit Beginn des Sustenpasses (2224 Meter) ruhiger wurde. Jetzt lief ich endlich richtig warm und ich fühlte mich gut und bereit für den letzten großen Anstieg. Aber auch die Temperaturen waren mittlerweile warmgelaufen. Die Sonne schien nun vom blauen Himmel. Ich unterschätzte das Wetter und lies die Verpflegung im unteren Passteil aus, da ich der Meinung war, dass eine Flasche Iso noch bis zum Gipfel reichen würde. Ein fataler Fehler! Die Sonne brannte unerbittlich und ich schwitzte und verlor viel Wasser. Ich wurde unglaublich durstig und langsamer. Ich konnte nur noch an Wasser denken. Ich weiß nicht wann ich in meinem Leben jemals so durstig gewesen war. Es war unbeschreiblich. Beständig starrte ich nach oben, wo ich das Ende des Passes wähnte. Trotzdem konnte ich noch über die Schönheit der unbeschreiblichen Landschaft staunen. Im unteren Teil hatten mich noch einige Fahrer überholt, aber einige, die mir in Erinnerung blieben, holte ich trotz meines Durstes und der abfallenden Leistung ein. Und wie schon beim Ötztaler am Timmelsjoch, sah man viele Fahrer stehen oder ihr Rad schieben. Wenn nur dieser Durst aufhören würde. Die letzten Kehren waren eine unsägliche Qual. Aber auch sie fanden ein Ende und ich löschte an der oben befindlichen Verpflegungsstation meinen Durst. Ich fühlte mich nun richtig gut. Die letzte Abfahrt machte einen Höllen Spaß und im unteren Teil mit flacheren Stücken konnte ich zu einer gut harmonierenden Gruppe aufschließen mit denen ich in den letzten kleinen Schlussanstieg fuhr. Interessanter Weise war ich so gut drauf, dass ich noch einmal richtig Gas geben konnte und nahezu alle Fahrer am letzten Anstieg mir ordentlichem Tempo überholte. Mein Puls kletterte sogar ohne Verzögerung in den Schwellenbereich, was mir zeigte, dass ich bei meinem gefühlten Pacing keinesfalls Überzogen hatte. Kurz vor dem Ziel hielt mich noch eine Bahnschranke auf und dann war es geschafft.  

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