Ötztaler Radmarathon 2018

Jeder Radmarathon beginnt mit einem Läuten des Weckers. Ausschlafen ist nicht. Es heißt früh aufstehen. Mein zweiter Blick gehörte dem Radar auf dem Smartphone. Wie zu erwarten waren noch einige Radarechos über dem Streckenkurs zu sehen. Gewundert hatte es mich nicht, war ja nächtlicher Regen vorhergesagt worden und es war aktuell noch frühmorgens. Noch war Zeit bis zum Start. Erst einmal frühstücken und anziehen. Dann ging es im Dunkel zum Start, wo wir noch eine Weile warteten. In Sölden war es Gott sei Dank trocken. Viele Fahrer waren noch früher aufgestanden als Dani und ich und standen bereits im Bereich hinter der Startlinie. Dort lernten wir Philipp kennen, mit dem wir uns die Zeit bis zum Startschuss vertrieben. Dann ging es los, der Startschuss fiel. Tausende von Fahrer waren nun nach Ötz unterwegs. Die Straßen waren größtenteils trocken. Dennoch gab es zwei Stürze unmittelbar in meiner Nähe. Ich hatte ziemlich Angst vor dieser Abfahrt. Es war eng und Unfälle passieren schnell. Es war wie auf der Autobahn im Stau. Jeder fährt seine Linie, mal schneller mal langsamer, man wechselt die Seiten und trotzdem sieht man um sich herum immer wieder dieselben Leute. In Ötz angekommen gab es den üblichen Stau am Fuß des Kühtai. Ich hoffte heil durchzukommen und versuchte mir wie 2016 einen Platz am Rand der Straße innerhalb des Feldes zu sichern, wo man vor attackierenden und wildüberholenden Fahrern sicher zu sein schien. So fuhr ich meine Pace Tritt für Tritt. Langsam zog Nebel auf und es fielen ab und an einige Tropfen Nieselregen. Oben auf dem Pass begann es zu regnen. Das Gedränge an den Verpflegungsständen war enorm und ich beschloss nicht zu halten. Denn erstens hatte ich noch eine volle Flasche, die bei den kühleren Temperaturen bis zur Brennerlabe reichen sollte, und zweitens wollte ich meine Regenjacke nicht anziehen. Die Wettermodelle hatten ja gerade zwischen Kühtai und Innsbruck die geringste Regenwahrscheinlichkeit angezeigt, so dass ich hoffte dass der Regen nur den Gipfel beträfe und in der Abfahrt aufhören würde. Hatte ich gehofft! Manchmal kommt es aber anders.

So ging ich in die Abfahrt und es fing so richtig an zu schütten. Noch hoffte ich. Aber es regnete sich so richtig ein und ehe ich mich versah war ich komplett durchnässt. Das Wasser stand in meinen Schuhen. Mein Sitzpolster war vollgesogen und am Oberkörper war der einzig trockene Fleck direkt unter meinem Helm, da ich seit dem Start einen Regenüberzieher trug, den ich zu Beginn eigentlich mehr zum Schutz vor Kälte als Nässe trug. Die Abfahrt vom Kühtai hat Gott sei Dank wenige Kurven, wo man bei Nässe Gefahr läuft die Bodenhaftung zu verlieren. Allerdings hatte mein Rennrad nur Felgenbremsen und die Bremswirkung lies im Regen deutlich nach. Auch wenn ich die Felge „freibremste“, war die Bremswirkung gemindert, da sich die Bremsklötze „vollgesogen“ hatten. Dani überholte mich. Er war der bessere Abfahrer und er hatte Scheibenbremsen. Ich entging einer Kollision, als ich auf der linken Straßenseite fahrend an einem Fahrer vorbeifahren wollte, der aber ohne ersichtlichen Grund plötzlich ohne Schulterblick nach links zog. Ich griff in die Bremsen aber die Bremswirkung war kaum vorhanden und ich konnte gerade noch weiter nach links an den Straßenrand ausweichen. Die Kälte setzte mir zu. Ich begann zu zittern. Meine Finger wurden trotz langer Handschuhe steif und mir war klar: wenn der Regen nach Innsbruck nicht nachlässt kann ich das Rennen womöglich nicht zu Ende fahren. Meine Wechselklamotten hatte ich am Jaufenpass deponieren lassen. Bis dahin wäre ich druchgefroren gewesen. In Innsbruck angekommen, hörte der Regen Gott sei Dank auf. An Windschattenfahren war aber vorerst nicht zu denken, denn die Straßen waren nass und das Spritzwasser hinter anderen Radfahrern landete auf meiner Brille. Würde ich sie jedoch abnehmen, würde ich alles in die Augen bekommen. Also vermied ich es in einer Gruppe zu fahren. Die alte Brennerstraße hinauf wurde die Nässe weniger und ich suchte mir eine passende Gruppe. Ich überholte Dani, der seine Pace langsamer veranschlagt hatte. So ging es den Brenner stetig bergauf und meine Kleidung trocknete allmählich.

Konzentriert in der Abfahrt

An der Brennerlabe holte ich mir zwei Flaschen Iso, aß einen Riegel und besuchte ein Dixi. Das kostet natürlich alles Zeit. Daher haben einige Fahrer Teams Angehörige an der Strecke platziert oder gehören einem Team an, welches Streckenposten hat, die den Fahrern volle Flaschen und sonstige Verpflegung reichen. Auch überflüssige Kleidungsstücke können so entsorgt werden. Mit Logistik lässt sich einige Zeit sparen, darüber hinaus müsste ich an meiner Ernährung am Vortag tüfteln. Die anschließende Abfahrt nach Sterzing war noch teilweise nass und auch meine Bremsen waren es, so dass es relativ langsam dahin ging. Bei der Auffahrt des Jaufenpasses wurde es trotz Höhenzunahme wärmer, da die Sonne zeitweise durch die Wolken lugte. Ich blieb stehen und entledigte mich meiner Beinlinge, tauschte die langen Handschuhe gegen kurze und nahm den Helmüberzieher sowie mein Stirnband ab. Ich stopfte alles in meine Rückentaschen, die damit komplett ausgelastet waren. Ich zügelte mein Tempo etwas, denn mein Gefühl sagte mir, dass ich am Timmelsjoch sonst stark an Geschwindigkeit einbüßen würde. Dennoch war im Vergleich zu meinen Mitstreitern zügig unterwegs und einer rief mir zu: Mach mal ein bisschen langsamer.  Ich erwiderte ihm, dass es am Timmelsjoch sowieso langsamer werden würde und die unter 10 Stunden sonst in Gefahr wären. Ich sollte mich täuschen, denn meine Pace konnte ich am Timmelsjoch beibehalten. So kletterte ich weiter und überholte auf der Passhöhe den „Pacemaker der unter 10 Stunden“.  Die Pacemaker waren eine Neuerung. Sie wurden von der Rennleitung eingesetzt, ähnlich wie bei Marathonlaufveranstaltungen. Das verschaffte mir Erleichterung.

Die Abfahrt hatte ein neues Hindernis für uns. Erste Quellwolken türmten sich im Stau der Berge auf und feuchte Luft zogen die Hänge nach oben. Dies bedeutete dichtesten Nebel. Ich hatte bereits die ersten Fahrer überholt und setzte erneut zum Überholen an, als ich plötzlich Nebel aufzog und ich keine zehn Meter mehr sah. Ich drosselte sofort mein Tempo. Auf meinem Garmin hatte ich die Straße „vor Augen“ und erkannte, dass erstmal keine scharfe Kurve wartete. Ich war zwar den Pass schon einige Mal gefahren, aber erstens hatte ich nicht mehr jede Kurve im Kopf und zweitens wäre es unvernünftig gewesen bei null Sicht, sich darauf zu verlassen. Interessanter Weise überholten mich einige Fahrer in rasantem Tempo. Dafür kann ich leider gar kein Verständnis aufbringen, denn selbst wenn ich die Strecke kenne wie meine Westentasche, bei einer solch geringen Sichtweite kann ich Hindernisse, wie andere Radfahrer oder mögliche Steine etc. nicht rechtzeitig erkennen, um adäquat zu bremsen oder auszuweichen.  Der Nebel hielt Gott sei Dank nicht lange an, da ich mit jedem Höhenmeter nach unten mehr und mehr unter die Wolkenuntergrenze rutschte. Die Straße war trocken und auch wenn meine Bremswirkung der Beläge noch nicht wieder voll hergestellt war, so konnte ich trotz früherem Bremsen als sonst doch nun einiges an Speed aufnehmen. Ich überholte die Fahrer von vorher spielend und die schlängelnde Abfahrt machte richtig Spaß. Nachdem ich nun ausschließlich am Überholen war, wurde ich selbst plötzlich von einem viel schnelleren Fahre überholt. Und schon in dem Moment indem ich den Fahrer aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte, war mir klar: das kann nur Dani sein. Dani ist der beste Abfahrer den ich kenne, wenn auch er auch selbst manchmal nach meinem Geschmack zu sehr das Limit ausreizt.  Auch wenn er aufgrund seines geringen Gewichtes auf geraden Abfahrten keine Chance gegen schwerere Männer hat, so ist er bei Kurven allen überlegen. So ging es mit Spaß bis ans Fuß des Timmelsjochs. Hatte ich Dani zunächst verloren, so sah ich ihn nun am Straßenrand stehen und einige Kleidungsstücke ablegen. Jetzt wartete es, das Timmelsjoch.

Ich blickte auf die Uhr, schaute nach oben und sagte mir: bevor die Anzeige auf 9 (Stunden) geht, bist Du oben! Und so begann der Kampf mit dem Timmelsjoch, mit Ermüdung und mit dem Kopf. Tritt für Tritt kurbelte ich mich hoch. Knapp vor der Hälfte der Auffahrt zog ein Schauer auf. Der juckte mich jedoch nicht großartig, denn beim Bergauffahren ist mir warm genug und ich muss keine Angst vor fehlender Bremswirkung haben. Das letzte Drittel bergauf war es wieder trocken und es schien auch ab und an die Sonne. Die Beine waren schon merklich schwerer und ich musste mich zwingen die Geschwindigkeit beizubehalten. Ein Fahrer beschwerte sich bei mir, dass der Wetterbericht nicht gestimmt hätte. Naja was soll man einem Laien sagen: dass es Wetterlagen gibt bei denen sowohl Regen als auch trockene Bedingungen dazugehören, nahe beieinanderliegen und dabei jede Vorhersage nur die höchsten Wahrscheinlichkeiten für trocken oder falsch abschätzt auch wenn es fast 50:50 steht? Geschenkt, ich nahm die Kritik hin und kurbelte weiter. Und tatsächlich erreichte ich den Gipfel bei 8:55 h Fahrzeit. Die unter zehn Stunden waren ohne Zwischenfälle also erreicht und ich machte mich frohen Mutes in die Abfahrt. Meine Bremsen waren noch schmutzig aber trocken und ich konnte die Geschwindigkeit voll genießen. Noch geschwind den Gegenanstieg hoch und endlich runter nach Sölden. Kurz vor Sölden bildete sich noch eine kleine Gruppe und als wir in den Ort einliefen lachten wir uns zu: was für ein krasses Rennen, was für harte Bedingungen. Wir hatten es geschafft: Zeit 9:30.

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